Texas, USA. Im Zentrum der International Emergency Respond Coordination blinkt ein roter Punkt. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Unternehmens, dass der Punkt in einem fernen Land in Zentralasien aufleuchtet: Kasachstan. Die Daten werden verglichen und analysiert. Um wem handelt es sich und welche Notrufnummer wurde hinterlegt. Kurz darauf klingelt, fast genau auf halber Strecke nach Kasachstan, in Lauchhammer das Telefon. Es ist noch früh am Morgen, doch Andrea Uhrlandt ist schnell wach. Matthias hat aus Kasachstan ein SOS-Signal geschickt. Was genau passiert ist, ob er noch lebt und wie viele Gliedmaßen er noch hat, bleibt im Ungewissen. Etwas später wird die deutsche Botschaft in Astana benachrichtigt. Diese leitet die Angelegenheit sofort weiter an das zuständige Konsulat in Almaty. Hier ist die Zentrale der Rettungsaktion, die nun ins Rollen kommt. In Berlin wird die zweite hinterlegte Nummer angerufen, Patrick. Fortan besteht eine dauerhafte Kommunikation zwischen dem Konsulat In Almaty, dem Unternehmen in Texas, den Eltern in Lauchhammer und Patrick in Berlin. Jeder liefert so viele Infos, wie er hat. Ob Fotos von mir, Versicherungspolicen oder vergangene Aufenthaltsorte in Kasachstan. Von Almaty wird das Auswärtige Amt in Astana benachrichtigt, von dort wird es gleich an das Innenministerium weitergeleitet. Von nun an mahlen die Mühlen etwas langsamer. Gegen Abend wird die Polizeistation in Almaty in Kenntnis gesetzt. Diese wird an dem Tag aber nichts mehr unternehmen. Am Mittwoch Abend liegen die Nerven blank. Alle wissen Bescheid, dass mir etwas zugestoßen ist. Allerdings weiß niemand genaueres.
Währenddessen in den Bergen
Wer von all dem – was da gerade zwischen Amerika, Kasachstan und Deutschland passiert – gar nichts weiß, bin ich. Ich Sitze am Fluss und zähle die Sekunden. Drei Stunden ist das schon her, dass ich den SOS-Knopf gedrückt habe. Kann ja nicht so schwer sein, denke ich. Notruf bekommen, Hubschrauber los schicken, ab nach Hause. Ich baue langsam mein Zelt auf. In der Hand halte ich immer den Deckel meines Edelstahltopfes. Damit kann ich dem einfliegenden Helikopter Lichtsignale geben. Außerdem habe ich meinen leuchtend grünen Regenüberzug für den Rucksack über zwei Felsen gezogen. Ich bin vorbereitet, der Hubschrauber kann kommen. Doch er kommt nicht. Da das Satellitengerät nur ein paar grüne Lämpchen zeigt, weiß ich nicht, ob die Nachricht tatsächlich angekommen ist. Es ist eine eigenartige Situation, die ich keinem Menschen wünsche. In dem Moment, wo ich SOS drücke, habe ich selbst resigniert. Ich habe die Hoffnung aufgegeben mich selbst aus dieser Situation befreien zu können. Sein Leben und sein Schicksal in die Hände anderer zu legen ist nicht leicht. Vor allem nicht für Menschen die, wie ich, nicht gern auf fremde Hilfe angewiesen sein möchten. Doch nun bin ich es. Und ich warte. Als ich mich in meinem Zelt hinlege, kann ich einen Hubschrauber hören. Endlich, ich bin gerettet. Schnell den Deckel in die Hand und raus aus dem Zelt. Doch Fehlalarm. Das Geräusch des Wassers, das unaufhörlich Steine vor sich hertreibt, hört sich einem Hubschrauber verblüffend ähnlich. Ich will einschlafen, doch ich kann es nicht. Ich finde keine klare Gedanken. An was auch? Mir ist es unmöglich an ein Berlin, an ein „nach dem Urlaub“ oder ein zu Hause zu denken. Das wirkt jetzt wie eine Utopie, die unerreichbar scheint. Ich versuche mich an schöne Erlebnisse in meinem Leben zu erinnern. Doch immer wieder keimt im Kopf die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation. Ich will nicht aufgeben. Heulen? Ja, ich bin den Tränen nah. Ich weiß aber auch, dass Tränen komplette Resignation bedeuten und im Hinblick auf Panik und unüberlegte Aktionen, sehr gefährlich für mich werden können. Am Abend fasse ich einen Beschluss: Kommt bis zum frühen Morgen kein Hubschrauber, werde ich zurück gehen. Der Weg ist gefährlich und ich fühlte mich vom Glück gesegnet ihn einmal überlebt zu haben. Doch ich muss dieses Glück noch einmal herausfordern. Ich kann nicht einfach hier warten, bis irgendwer irgendwann mich retten kommt. So hart wie es klingt, für mich steht fest: Entweder hier in der Wildnis warten und sterben oder beim Versuch zu Überleben sterben. Ich entscheide mich für Letzteres und schlafe ein.
Hi Matthies! How are you? How was your hike? Did you survive?