Tag XIV 31.12.16
Wie jeden Morgen: Vorhang auf – Nebel und scheiß Wetter. Aber auf der anderen Seite des Sees kann auch gutes Wetter sein. Ab ins Auto und wieder auf die bescheidene Straße zu einem Vulkansee auf der östlichen Seite des Sees.
Am Parkplatz angekommen, sehen wir einen Nasenbär um die wenig parkenden Autos schleichen. Auch zu uns kommt er betteln, bekommt aber nichts. Wir wollen ja nicht, dass sich die wilden Tiere zu stark an den Menschen gewöhnen. So lassen wir den kleinen Gesellen allein stehen und machen uns auf den Weg – einen der schwierigsten Wege, den ich je gelaufen bin.
Es beginnt relativ harmlos. Es geht ein bisschen durch den Dschungel unter ein paar Bäumen durch. Der Weg ist vielleicht einen halben Meter breit und durch den Regen sehr schlammig und rutschig. In den ersten 20 Minuten wechseln wir 5 mal die Kleidung. Mal ist es zu warm, dann zu kalt, dann fängt es an zu regnen, dann hört es wieder auf. So schnell wechselnde Launen bin ich sonst nur von Susan gewohnt. Ich erinnere mich an eine Reportage, in der es hieß, dass man selbst mit guter Fitness nur wenige Kilometer durch den Dschungel gehen könnte – allein wegen des Klimas und der starken Beeinträchtigung des Kreislaufes.
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Die grüne Hölle
Zu dem körperlichen Weh-Wehchen aus Kälte, Hitze und Nässe gesellen sich noch dünne Luft, große Anstrengung und stellenweise Kämpfe gegen den schlammigen rutschigen Untergrund. Der Anstieg ist enorm, die Füße haben kein Halt. Oft sind wir auf allen Vieren unterwegs, weil wir nicht anders vorwärts kommen. Unter der Kleidung sind wir pitschenass – ob vom Schweiß oder dem Regen – das ist egal. Hinzu kommt, dass wir beide noch etwas angeschlagen sind. Mir fällt es schwer durch meine verschnupfte Nase die wenige Luft hindurch zu ziehen. Das ist vielleicht auch ein Grund, weshalb ich später auch Kopfschmerzen bekomme.
Der Wald ist sehr dicht. Man kann kaum 20 Meter hinein schauen. Alles ist grün, bis auf den lehmig-braunen Boden. An einer Stelle müssen wir über eine größere Pfütze springen. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren stütze ich mich nach dem Sprung an einem Baum ab. Ja, hier in Costa Rica sollte man aufpassen, wo man hinfässt. Der Baumstamm ist übersät mit kleinen Dornen, von der sich eine in meinen Finger bohrt. An sich nicht weiter schlimm. Allerdings wird diese rot-schwarze Stelle noch einige Wochen verbleiben. Ein kleine Warnung, wie unberechenbar und gefährlich hier die noch so unscheinbarsten Dinge sein können.
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Die Bedrohung im Nacken
Hinter uns macht sich langsam etwas Krach breit – Kinder. Wir hören tatsächlich Kinder. Es regnet, es ist drückend heiß, keine Luft, unglaublicher Anstieg – und doch läuft direkt hinter uns eine amerikanische Familie mit drei kleinen Kindern. Wir können es nicht fassen. Mich packt der Ehrgeiz und ich finde, wir als sportliches Paar sollten im Wettlauf auf die Bergspitze nicht gegen eine amerikanische Kleinfamilie versagen. Obwohl ich kaum Luft bekomme, hetze ich schnaufend nach vorn – Susan genervt von meinem sinnlosen Wettbewerbs-Ehrgeiz hinter mir. Total abgehetzt und außer Atem, nach mehreren Pausen, kommen wir am Vulkansee an. Die Aussicht ist enttäuschend, da sie weniger als 5 Meter weit reicht. Der Regen und der Nebel hängen einfach zu tief. Kurz nachdem wir den See erreichen kommt auch die Familie dazu. Drei kleine Kinder, die im Regen spielen, mit Sandalen bekleidet und zwei sportliche Erwachsene. Na gut – es tröstet mich, dass es keine typischen amerikanischen Fett-Bürger sind. Weil uns der hektische Krach der Kinder aber trotzdem nervt, verlassen wir den See und begeben uns auf den Rückweg. Hier kommen wir etwas schneller vorwärts, wobei nach etwa 5 Stunden Wanderung im Regenwald auch echt die Schmerzgrenze erreicht ist. Doch selbst nach Erreichen der Schmerzgrenzen müssen wir noch weitere 2 Stunden zum Auto laufen. Wir kommen pitschnass am Parkplatz an und wechseln unsere Kleidung in einem kleinen ranzigen Dixie. Danach quatschen wir noch ein wenig mit dem Einheimischen, der die Tickets für den Nationalpark verkauft. „In 3 Stunden bin ich hoch und wieder herunter“. Bei seinem dicken Bauch können wir das kaum glauben aber wir tun als ob. „Wirklich? Toll!“- Ich glaube ihm kein Wort. Wir setzen uns ins Auto und fahren ins Hotel zurück.
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Wir sind toll
Es fühlt sich irgendwie gut an. Heute ist Silvester und wir denken an viele in Deutschland, die gerade zu Hause auf der Couch sitzen, Glühwein trinken, zum hundertsten Mal „Dinner for One“ schauen, 24 Uhr ein bisschen knallen, Sekt, Chips und noch ein bisschen Schokolade. Wir hatten aber die Gelegenheit ein unglaubliche Erfahrung im Dschungel zu machen. Wir sind beide über unsere Stärken hinausgewachsen und haben allen Elementen getrotzt. Es ist vielleicht zu heroisch zu sagen, aber ich bevorzuge doch lieber eine atemberaubende Tour durch den Dschungel, als 100 Flaschen Rotkäppchen-Sekt.
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Kurzer Abschied von 2016
Im Hotel setzen wir uns ins Restaurant und warten auf Null Uhr. Es ist wirklich dumm, denn wir sind müde und könnten sofort ins Bett fallen. Aber es ist Silvester. Wir müssen anstoßen. Das macht man doch so. Und so sitzen wir allein am Fenster, schauen auf den dunklen vom Nebel bedeckten See und bestellen eine große Portion Tortillas mit Käse überbacken. Dazu gönnen wir uns noch verschiedene Biersorten aus der Brauerei. Kiwi-Bier, Ananas-Bier, Chilli-Bier und andere seltsam schmeckende Sorten. So richtig will der Funke nicht überspringen. Gegen 11 sind wir bereits so müde, dass wir das leere Restaurant verlassen und aufs Zimmer gehen. Wir machen uns bettfertig und warten auf 0 Uhr. Dann ist es soweit: Hier ist das neue Jahr 2017. Wir geben uns einen Kuss und schlafen 0:01 Uhr ein.