Heute also war es soweit. Die Natur hat gerufen und ich bin ihr gefolgt. Doch ganz so einfach war das nicht. Gestern abend liege ich im Bett. Ein Sturm zieht auf. Mir egal. Es fängt an zu regnen. Mir egal. Es gewittert. Mir egal. Der Strom fällt aus. Mir definitiv nicht egal. Mein Handy mein GPS und mein Mp3player müssen doch noch geladen werden. Das Telefon ist das wichtigste. Ich warte bis tief in die Nacht. Der Lichtschalter ist eingeschaltet, so dass ich sofort weiß, wenn wieder Strom da ist. Wie hypnotisiert starre ich Stunde um Stunde auf die Lampe. Dann wird es dunkel und ich schlafe ein. Heute früh ist immer noch kein Strom da. Der Akku vom Telefon hat noch 45%. Reicht das für 20 Tage? Ich esse mein Brot und trinke mein Tee. Mein Lieblingsessen momentan. Als ich in mein Zimmer gehen möchte, ein lauter Aufschrei. Der Strom ist wieder da. Sofort wird die Stereoanlage aufgedreht und kasachischer Techno hallt durch die Korridore. Ich lege mich also noch aufs Bett und warte weitere 2h bis das Handy geladen ist. Dann geht es los.
Mein Lieblingswetter: permanent Regen. Von vorn, der Seite, von überall. Mit der neuen Jacke kein Problem. Ich laufe zwei Stunden bis ich ein junges Paar unter einem Holzdach treffe. Sie laden mich beide zum Tee ein und ich setze mich hinzu. Wir kommen ins Gespräch und ehe ich mich versehe sitzen wir zusammen im Auto. Der Mann soll lernen mit dem Jeep der Frau zu fahren. Soviel zur Emanzipation. Hier erklärt die Frau dem Mann, wie er zu fahren hat. Es ist seine erste Geländefahrstunde. Ich habe ein bisschen Angst. Es geht Steigungen jenseits der 30% hoch. Dann fahren wir durch einen kleinen Fluss und rutschen durch völlig ausgespülte Matschwege. Dann irgendwann halten sie an. Die Steigung ist zu hoch, der Schlamm zu tief. Ich steige aus und sie fragen mich, ob ich da wirklich lang möchte. Ohne zu zögern sage ich „Ja!“ Dann bin ich allein. Mit dem Regen. Es geht immer höher in die Wolken hinein. Kein Sonnenstrahl dringt durch die dicke Wolkendecke. Es wird den ganzen Tag regnen. Die Stunden vergehen. Die Landschaft ist sehr beeindruckend. Tiefe Fichtenwälder wechseln sich mit grasbewachsenen Hügeln, aus denen hier und da ein Felsen empor ragt. Dann verziehen sich die Wolken ein wenig. Vor mir offenbart sich der mächtige Anblick des Tian Shan Gebirges. Ich stehe eine ganze Zeit so da und starre auf diese riesigen Berge. Doppelt so hoch wie die Alpen. Am schönsten finde ich den Übergang der kargen Wiesenlandschaft in die schneebedeckte Region am Gipfel. Nach vielen Stunden sehe ich auch mein Ziel, das Medeu Stadium. Hier geht es bergab. Danke an den Matze, der mir noch Trekkingstöcke empfohlen hat. Hier geht es auf sehr rutschigem Lehmboden steil bergab. Ein paar mal verliere ich das Gleichgewicht und stürze fast hinab. Aber die Stöcker halten mich. Eine sehr sinnvolle Investition. Gegen 18 Uhr komme ich am Medeu Stadium an. Hier finde ich aber kein Platz für mein Zelt. Dann zieht Nebel auf. Was soll ich bloß machen? Ich frage nach einer Unterkunft. Ein schlecht gelaunter Taxifahrer fährt mich bei Sichtweite unter 50m auf den Berg. Hier steht tatsächlich ein Gasthaus. Der Hauswirt ist sehr freundlich und zeigt mir die Zimmer. Dann fragt er mich, ob ich etwas zu essen mag. Ich nehme Salat, Brot und Tee. Es ist schon komisch. Da sitzt man dann in einem Essenssaal ganz allein, schaut in den tiefen Nebel und wird von freundlichen Kasachen bewirtet, die man kaum versteht. Ich mag dieses Land wirklich sehr. Das einzige, was mich jetzt noch stört, ist das Heulen des Boilers im Bad. Jede Minute ein schriller Ton, der durch Mark und Bein geht. Vielleicht bin ich ja auch so kaputt, dass ich trotzdem einschlafen kann.
Da heute schon der 16.08. ist, hoffe ich es geht dir gut! Die Geschichte geht es sehr gut los! Pass auf dich auf!