Ich bin endlich angekommen

Der 4. Tag. Ich packe meine Taschen zusammen, hole Rocinante aus dem kleinen Raum, in dem er über Nacht stand und fahre los. Ich habe zwar nichts zu essen dabei und auch kein Frühstück gehabt, aber ich habe einen aufgeladenen MP3-Player. Das ist viel mehr wert. In Saulmalkol schauen mich die Leute noch einmal sehr verwundert an, bevor es dann auf die große Straße in Richtung Kokshetau geht. Der Himmel ist mit Wolken verhangen, die Sonne schafft es aber immer mal wieder durch zu scheinen. Es weht leichter Wind, ca. 15°C. Ideales Fahrrad-Wetter.

Anfänglich sieht die Gegend wieder Brandenburg sehr ähnlich: Wälder, Felder, weite Wiesen, ein paar kleine Tümpel. Auch wenn es jetzt nicht mehr ganz so flach ist und der ein oder andere Hügel mich herausfordert, Steppe sieht anders aus. Zumindest in meiner Vorstellung. In Gedanken an ein weiches Bett und ein paar Tage Ruhe für meine Beine, rase ich angeheizt von Metallica, Ute Freudenberg und Frank Schöbel über die Straße.

Dann auf einmal passiert es: sie ist da, ich bin da. Endlich. Die Steppe und genau das, was ich mir darunter immer vorgestellt habe. Eine matt-grüne Wiese bis zum Horizont. Vereinzelt liegen Gesteinsbrocken hier und da. 100m von mir entfernt steht eine Stute allein mit ihrem Pfohlen, wie zur Begrüßung, und starren mich an. Im Hintergrund erheben sich zwei schöne fast komplett baumlose Hügel in den Himmel. Das einzige, was sich hier in der Ödnis zwischen Straße und Hügel bewegt, ist der mächtige Schatten der vorüberziehenden Wolke. Wie ich so da stehe und begreife, dass ich nun endlich angekommen bin, durchschallt Members of Mayday mit Culture Flash meinen Gehörgang. Das passt, denke ich nicht nur, sondern fühle es auch. Ein bisschen Pippi steigt mir in die Augen, so bewegt bin ich von diesem Moment. Man möchte meinen, die Natur Kasachstans hat mich in den vergangegen Tagen geprüft, ob ich es auch wirklich wert bin, hier zu sein. Nun schenkt sie mir ihre ganze Schönheit. Danke.

Beeindruckt, motiviert und mit guter Laune fahre ich weiter. Die Kilometer fliegen vorbei. Dann bin ich kurz vor Kokshetau. Es geht bergauf. Ich kann das große Eingangsschild ( oder sollte ich lieber Monument sagen) schon sehen. Auf einmal wieder der Schmerz. Erst kurz, dann lang, dann dauerhaft. Ich muss vom Fahrrad runter. Ich bleibe kurz stehen, lasse mir nichts anmerken und beobachte die Landschaft. Dann versuche ich das Fahrrad zu schieben. Keine Chance. Also bleibe ich noch eine Zeit lang bei den Kühen stehen, die hier an der Straße grasen. Langsam schiebe ich Rocinante den Hügel hinauf, vorbei am Stadtschild. Hinter einer Tankstelle geht es bergab in die Stadt. Hoffentlich einfach nur noch rollen lassen. Am besten bis ins Hotelzimmer. Rasant geht es dann den Hügel herunter direkt in die Stadt. Dort angekommen stelle ich zu meinem Entsetzen fest, dass die Stadt größer ist als ich annahm und ich keine Karte mit dabei habe. Ich irre etwas durch die Straßen. Im Zentrum bin ich, das weiß ich. Doch die Straßennamen sind hier nicht so leicht zu finden. Ich irre über den gefüllten Bazar und verliere fast komplett die Orientierung zwischen den vielen Menschen. Dann fängt es auch wieder an zu regnen. Doch bevor mich jede Hoffnung verlässt, erblicke ich das gewünschte Hotel. Ich buche mich für 4 Tage ein und hoffe, dass die Knieschmerzen in der Zeit verschwinden. Nachdem alles im Zimmer verstaut ist, gehe ich ins Hotel-Restaurant. Hier esse ich zum ersten Mal seit einer Woche eine richtige warme Mahlzeit. Danach geht es aufs Zimmer. Draußen tobt wieder einmal ein Steppensturm. Doch dieses Mal ist mir das egal.

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