Früh bei Zeiten schwinge ich mich auf mein Fahrrad. Ich lasse das Frühstück heute weg. Viel wichtiger als Essen ist die pünktliche Ankunft in Tel Aviv. 80km liegen vor mir. Dann den Flughafen finden, das Fahrrad aufgeben, die Fahrradtaschen verstauen und das alles pünktlich. Etwas unter Druck gesetzt und mit einem freundlichen “Goodbye” vom Hotelwart geht es dann ein letztes Mal mit dem Fahrrad den Ölberg hinunter. Das macht noch Spaß. Doch dann geht es wieder bergauf, mit all den Taschen und dem Gepäck. Das zerrt an meinen Kräften und ich muss absteigen. Nach 5 Minuten Berg herunterrollen wieder Fahrrad schieben. Na das fängt ja gut an. Dann bin ich bald auf der Autobahn und lasse die heilige Stadt hinter mir. Es geht wieder bergauf. Mühselig kämpfe ich mich nach oben. Manchmal, das ist kein Scherz, hebt sich mein Vorderrad in die Höhe, weil die Taschen und das Gewicht alles auf dem hinteren Bereich des Fahrrads drückt. Dann habe ich endlich die paar Hügel geschafft. Jerusalem liegt noch klar sichtbar hinter mir, als sich vor mir etwas wunderbares offenbart: 50km bergabwärts. Ich freue mich drauf und trete in die Pedalen. LKWs rasen an mir vorbei, die israelische Steppe links und rechts der Autobahn. Wenn ich jetzt stürze, gar nicht auszudenken. Ich habe ein breites Grinsen im Gesicht.
Ich komme am Ben Gurion Flughafen an. Ich habe nur 3 Stunden für den Weg gebraucht, für den ich hinzu 7 Stunden gebraucht habe. Langsam und gemütlich schlendere ich mit meinem Fahrrad in den Flughafen. Dann setze ich mich auf einen der vielen Stühle und atme erst einmal durch. Ich lasse meinen Blick durch den Flughafen schweifen. Dann entdecke ich eine lang Menschenschlange an einer Sicherheitskontrolle. Es sind noch ca. 4h bis zum Abflug. Vielleicht sollte ich mich doch schon einmal anstellen. Warten, lesen, abhängen kann ich ja auch nachher in der Sicherheitszone. Also schnappe ich mir mein Rocinante und stelle mich zu der Menschenschlange. Sonst ist hier niemand mit Fahrrad. Wundert mich nicht wirklich. Dann kommt ein Polizist des Weges und bittet mich höflich mitzukommen. Klar, mach ich doch gerne. Es scheint so, als könnten Passagiere mit Fahrrad schneller in den Sicherheitsbereich. Ähm, schön wäre es gewesen.
In den kommenden 3 Stunden kümmern sich 6 Mitarbeiter ganz persönlich um mich. Zu aller erst werden mir Fragen gestellt. Woher komme ich, wo arbeite ich, wo leben meine Eltern, warum lebe ich nicht bei meinen Eltern. Fragen, die so lächerlich sind, die ich aber doch ernsthaft beantworten muss. “Haben sie mit jemanden in Jerusalem Kontakt gehabt?” Ich bejahe die Frage und verweise auf meinen Tag mit dem Taxifahrer und seine Pali-Kumpels aus Betlehem. Ja, das ist natürlich ein Problem. Okay, also noch einmal, folgende Situation: Ich stehe an einem Sicherheitsschalter, quadratische Form. In der Mitte sind die Mitarbeiter, außen stehen die Reisenden und werden verhört. Pro Passagier stehen zwei Mitarbeiter gegenüber. Mir gegenüber steht ein Mann Mitte 30 und eine ältere Frau, Mitte 50. Der Mann, das bekomme ich aus den Gesprächen zwischen den beiden heraus, wird gerade ausgebildet und stellt mir die Fragen. Zurück zu der Frage nach den Palis. Ob ich denn die Namen der Palis sagen könnte. Ich antworte mit einem leichten Grinsen, dass ich mich an hebräische Namen nicht erinnere, da ich aus Deutschland komme und sie kaum Klaus und Peter heißen. Der Mann schmunzelt etwas und glaubt mir. Dann wollen sie meinen Arbeitsvertrag sehen. Klar, den hat man auch dabei, wenn man in den Urlaub fliegt. Ich zeige ihm meine Visitenkarte. Er fragt mich, ob ich auch etwas seriöseres habe. Ich verneine und erkläre ihm meinen Berufsalltag. Nach ca. 45min ist das Frage-Antwort-Spiel vorbei und ich darf alle meine Fahrradtaschen auspacken. Alles wird unter den Sprengstoff-Scanner gelegt. Meine Bücher werden mit feinen Tüchern abgeputzt und auf Schwarzpulver-Spuren überprüft. Natürlich gibt es viele Fragen zu meinem Fahrrad-Werkzeug. Ach, ich bin jetzt übrigens etwas weiter gerückt an dem Tresen und zwei junge Männer sind jetzt für mich verantwortlich. Mein Dreckwäsche wird auch kontrolliert. Besonders lange braucht man bei meinem Fahrradschloß. Solch dicke Schlösser kennt man hier nicht. Klar, es gibt ja auch kaum Fahrradfahrer. Man legt das Schloss unter einen Scanner. Ratlosigkeit macht sich breit. Die zwei Herren tasten es ab, als sei es ein Gegenstand außerirdischen Ursprungs. Dann holen sie vier weitere Mitarbeiter, die ebenfalls ratlos darauf starren. Aber auch diese Kontrolle ist nach langer Zeit abgeschlossen. Dann werde ich in einen anderen Bereich geführt. Hier sind Umkleide-Kabinen. Ich muss mich nackig machen und meine Kleidung wird nach weiteren Sprengstoff kontrolliert. Ich befolge alle Befehle. Gar nicht aus Angst oder Respekt, eher aus Gleichgültigkeit. Ich habe nichts zu verbergen und so eine Kontrolle ist alle mal interessanter als 4h rumsitzen und warten. Nachdem auch in meiner Kleidung nichts gefunden wird, ist Rocinante dran. Ich schraube dazu den Sattel ab. Es könnte ja etwas im Rahmen versteckt sein. Dann kommt der traurigste Moment: Rocinante wird abgeführt in einen separaten Raum. Ich sehe ihn nicht mehr. 15 min später habe ich ihn zurück. Dann bin ich durch mit allen Kontrollen. Es sind 3h vergangen. Ich habe mein Fahrrad, meine Taschen und alles, was ich brauche. Nun gehe ich zum Schalter und kann mein Gepäck aufgeben. Die Mitarbeiterinnen fragen mich, ob ich für Olympia trainiere. Ich sähe so aus, sagen sie. Ich fühle mich geschmeichelt und verneine Olympia-Ambitionen. Dann frage ich, wie ich denn mein Fahrrad aufgeben soll. “So einfach geht das nicht” sagt eine Mitarbeiterin. Na das habe ich mir ja schon fast gedacht. Ich muss Rocinante mit Folie umwickeln. Dass ich das beim Hinflug nicht machen musste, ist den Leuten hier völlig egal. Übrigens fliege ich mit AirBerlin, also der gleichen Fluggesellschaft, mit der ich auch von Berlin nach Israel geflogen bin. Aber hier ist halt alles etwas anders. Mein Fahrrad wird schnell eingepackt und zum Sperrgepäck gebracht. Dann eilt eine Mitarbeiterin zu mir, denn mein Flieger möchte endlich starten. Wir gehen durch gefühlt 10 Sicherheitstüren, die sie immer vor mir öffnen muss und die sich immer nach mir wieder schließen. Ich komme mir ein bisschen wichtig vor. Dann, nach etlichen Auf-und-Zu stehe ich am Check-In, zusammen mit vielen anderen Deutschen. Jetzt macht sich ein Gefühl von Banalität breit. Nichts mehr mit Sprengstoff, mit Palis, mit wichtigen Kontrollen. Hier stehen die Pauschal-Touristen, die Partygänger, die Pilgerer. Alles wirkt auf einmal so gleichgültig und austauschbar. Ich stelle mich in die Reihe, steigen in den Flieger und ab geht es nach Hause.